“… sprengt alles bisher im Rechtsstaat Bundesrepublik Dagewesene”

Starkus01, [CC BY-SA 4.0

Der Staatstrojaner ist fertig. Recherchen von NDR, WDR und SZ zufolge (von der ZEIT gut zusammengefasst) hat das BKA ihn offenbar bereits auf Handys von Verdächtigen geschmuggelt und eingesetzt. Die Ermittler können damit den Inhalt von Chatprogrammen aufzeichnen, ohne die Verschlüsselung der Messenger knacken zu müssen.

Ich kann nicht sagen, wieviel Abscheu ich für diese Methode habe, die unsere Grundrechte in ernste Gefahr bringt. Weil ich die Gründe bereits in zwei Artikeln auf diesem Blog dargelegt habe (1 2), zitiere ich nun aus dem Kommentar von Heribert Prantl in der SZ 615-544-4482 , dem ich nichts hinzuzufügen habe:

Noch nie gab es in der Geschichte der Bundesrepublik einen größeren, umfassenderen, weitreichenderen, heimlicheren und gefährlicheren Grundrechtseingriff: Das Bundeskriminalamt hat damit begonnen, sogenannte Staatstrojaner auf privaten Computern, Laptops und Handys zu installieren. Damit können sämtliche Daten ausgeleitet, damit kann das gesamte Computer-Nutzungsverhalten eines Menschen in Gegenwart und Vergangenheit überwacht werden.

Vor dem Zugriff ist nichts und niemand sicher; auch auf eigentlich verschlüsselte Kommunikation – wie bei Whatsapp – wird schon zugegriffen, bevor sie verschlüsselt wird. Möglich ist auch der Live-Zugriff, also der heimliche Blick über die Schulter des Betroffenen. Die Eingriffsintensität sprengt alles bisher im Rechtsstaat Bundesrepublik Dagewesene.
[…]

Der Staatstrojaner ist der lebende Beweis dafür, dass in Terrorzeiten das staatliche Sicherheitsbedürfnis strukturell unstillbar ist. Deshalb ist die furchtbarste Eigenschaft des Staatstrojaners diese: Er frisst die Grundrechte auf.

 

Ist Videoüberwachung Überwachung?

Kameras am Breitscheidplatz: Behindern oder Verhindern? Foto: Willy Pragher /CC BY 3.0

Kameras am Breitscheidplatz: Behindern oder Verhindern? Foto:
Willy Pragher /CC BY 3.0

Nach dem grausamen Terroranschlag von Berlin fordern viele Politiker eine verstärkte Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Diese Forderung wirkt auf mich wie ein Reflex auf die Ohnmacht, die der Terror in uns allen auslöst. Irgendwas muss man ja tun, um so etwas verhindern. Nur: Hätte eine verstärkte Videoüberwachung den Weihnachtsmarkt-Anschlag verhindert?

Eine Videoüberwachung im öffentlichen Raum halte ich für grundsätzlich richtig. So bewundernswert ich das Engagement von Gruppierungen wie Netzpolitik.org, Digitalcourage oder des CCC in Sachen Privatsphäreschutz finde und so häufig ich ihre Meinung auch teile – in Sachen Videoüberwachung habe ich eine völlig andere Meinung. Ebenso übrigens beim Thema Vorratsdatenspeicherung, das ich hier schon mehrfach behandelt habe. Zwei andere unvorstellbare Geschehnisse der letzten Tage, nämlich der Tritt in den Rücken einer Frau auf einer U-Bahn-Treppe und der Fast-Mord an einem Obdachlosen wären ohne Videoüberwachung bis heute unaufgeklärt. In einem Fall wurde der Täter anhand von Videoaufnahmen im U-Bahnhof überführt, im anderen Fall dürfte die Videoaufzeichnung aus einer U-Bahn, die die Täter deutlich zeigt, für die Selbstanzeige mitverantwortlich sein. Die Taten verhindert haben sie freilich nicht. Auch eine Kamera auf dem Breitscheidplatz hätte nicht verhindert, dass der Attentäter mit einem LKW in den Weihnachtsmarkt hineingerast wäre. Hätte sie nicht viel eher brilliante PR-Bilder für den IS aufzeichnet? Wie dem auch sei: Der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Einzelner, die die anlasslose Videoüberwachung fraglos darstellt, wiegt nicht höher als die Chance schwere Straftaten aufzuklären.

camera-712122_1920Ich möchte Videoüberwachung im öffentlichen Raum aus einem Grund deutlich von den Überwachungspraktiken von NSA, GCHQ und BND unterscheiden: Denn ich weiß, dass und wo ich überwacht werde oder werden könnte. Die Geheimdienste rücken aber ohne mein Wissen bis in die letzte Ecke meiner Privatsphäre vor. Im Bahnhof, auf öffentlichen Plätzen und auf großen Straßen bin ich sichtbar, sei es für einen Ermittler hinter der Kamera oder einen Polizisten im Streifenwagen. Dieses Kriterium könnte sogar die Verhältnismäßigkeit der Videoüberwachung sichern – denn damit wären öffentliche Gebäude wie Schulgebäude und Hörsääle und natürlich auch Toilettenanlagen, seien sie auch in noch so öffentlichen Gebäuden, von der Überwachung ausgeschlossen. Neben der Tatsache, dass die einzelne Überwachungsmaßnahme verhältnismäßig sein muss (also nur Flächen überwacht werden, auf denen Straftaten in höherem Maße stattfinden) muss die Videoüberwachung aber auch gekennzeichnet sein – das schreiben alle Datenschutzgesetzen vor (die Ländersache sind, in dieser Frage aber erfreulicherweise einer Meinung sind, Bsp. Nds. / BY).

Dass ich weiß, wann ich beobachtet werde, heißt auch: Wenn ich nicht beobachtet werden will, meide ich diese Orte. Privat und unüberwacht bin ich in meiner Wohnung, privat bin ich in weiten Teilen des Internets (zumindest kämpfen viele Menschen und ich dafür), privat bin ich in meinen Gedanken – aber in der Öffentlichkeit muss ich damit rechnen, erkannt zu werden. Von wem auch immer.Dieses Argument hatte ich bereits bei der Vorratsdatenspeicherung angeführt: Wenn ich weiß, wer meine Daten wie lange speichert, kann ich alternative Dienste nutzen.
Mein Persönlichkeitsrecht wird da verletzt, wo meine Daten oder Videoaufzeichnungen ohne mein Wissen abgefischt bzw. angefertigt werden. Ohne Vertrauen in die staatlichen Stellen geht es also nicht. Ohne kritische Bürger mit der Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung aber auch nicht. Wir sollten für unser Recht auf Privatsphäre auf die Barrikaden gehen – aber es nicht dort fordern 615-544-7466 , wo es keine Privatsphäre gibt.

Jetzt gehst du zu weit, Whatsapp!

[Update 6.9.2018: Die Facebookseite “Netzunrecht” existiert nicht mehr. Ich habe den Link entfernt.]

whatsapMit seinen neuen AGB geht Whatsapp eindeutig zu weit: Die neu eingeführte Verknüpfung von Whatsapp mit Facebook ist verschiedenen Quellen zufolge nicht bei allen Kunden abstellbar, vor allem aber machen die neuen Geschäftsbedingungen die Whatsapp-Nutzung eigentlich unmöglich!

Die Juristen von Netzunrecht sagen es in einem Facebookpost klipp und klar:

Denn diesen neuen Datenschutzbestimmungen kann man eigentlich nicht zustimmen. Wer ist schon autorisiert Telefonnummern aus dem eigenen Adressbuch an WhatsApp weiter zu geben?!

Zitat aus den Nutzungsbedingungen:
“Adressbuch. Du stellst uns regelmäßig die Telefonnummern von WhatsApp-Nutzern und deinen sonstigen Kontakten in deinem Mobiltelefon-Adressbuch zur Verfügung. Du bestätigst, dass du autorisiert bist, uns solche Telefonnummern zur Verfügung zu stellen, damit wir unsere Dienste anbieten können.”

Die Zwickmühle, in der Whatsapp-Nutzer/innen stecken, ist dieselbe, die sie auch Facebook und Google-AGB-Änderungen kennen: Sie lautet “Friss oder stirb”. Wer die neuen Whatsapp-AGB nicht mag, darf den Dienst halt nicht nutzen. Und, um die Aussage der Anwälte noch einmal zuzuspitzen: Wer nicht von allen seinen Adressbuchkontaktem ein Okay für die Weitergabe ihrer Telefonnummer an Whatsapp erhalten hat, auch nicht!

Die Verbraucherseite “Zuerst denken, dann klicken” empfiehlt einen schriftlichen Widerspruch gegen die neuen AGB. Nein, das geht natürlich nicht, in dem man den Text “Hiermit widerspreche ich den neuen AGB” per Whatsapp irgendwo hinsendet.
Aber eine Mail an support@whatsapp.com wäre gut. Ich werde auch eine schreiben.

Weitere Beiträge zum Thema “Whatsapp”

UPDATE: Mir ist beim Lesen der AGB jetzt erst aufgegangen, dass die weitergegebenen Telefonnummern auch für Werbezwecke genutzt werden, nicht nur die eigene. Das ist wirklich die Höhe!