Ich als Vater kenne das Gefühl immer wissen zu wollen, dass es den Kindern gut geht. Vor der Geburt unseres Sohnes vor fünf Jahren haben meine Frau und ich uns die Frage gestellt, ob es ein einfaches Babyfon tut, wir eines mit Videokamera benötigen oder eine „Angel Care“-Matte, die zudem Herzschlag und Liegeposition des Kindes übermittelt. Wir haben uns für ersteres entschieden.
Doch eine neue Erfindung aus den USA lässt selbst Angel Care wie ein billiges Yps-Gimmick aussehen: „Sproutling“ ist ein „Wearable“ für Babys, also ein Elektronikgerät, die Kinder am Körper tragen.
In einem Chip-Artikel heißt es dazu, wenig kritisch:
Der Sproutling Babymonitor ist an einem dehnbaren Band befestigt und kann einfach um den Fuß des Babys gelegt werden. Durch die direkte Verbindung mit dem Baby ist das Wearable in der Lage, Vitaldaten wie Herzschlagfrequenz, Temperatur und Bewegungen des Babys zu erfassen. Darüber hinaus bemerkt es auch, wenn das Baby in einer ungewöhnlichen Stellung schläft.
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Die andere Innovation besteht darin, dass der Babymonitor die gesammelten Daten via Bluetooth an ein Smartphone schickt. Eine App wertet die Daten aus und zeigt den Eltern direkt, wie es dem Baby geht. Auf Screenshots von Sproutling sieht man zum Beispiel Warnungen, wenn sich eines der Babys bewegt hat oder wenn die Umgebung zu laut ist. Nicht unwichtig für Paare: Der Babymonitor lernt auch den Schlafrhythmus des Babys kennen und kann nach einiger Zeit vorhersagen, wann man besser beim Baby sein sollte, wenn es aufwacht.
„Sproutling“ bietet also nicht nur Kontrolle, sondern auch noch Komfort. „Komm, Schatz, zu dem Bowie-Konzert können wir locker gehen, die Kleine hat erst um 23:21 Uhr Hunger“.
Diese Art von Kontrolle ist gefährlich, weil verführerisch. In gewisser Weise erliegen Eltern, die solch eine Totalüberwachung wollen, demselben Irrtum wie NSA, GCHQ und die Politiker, die solche Dienste schützen: Sie glauben, dass man mit viel Daten und viel Auswertung auch viel Sicherheit erreicht. Die Eltern, die ihren Säuglingen „Sproutling“ anheften, argumentieren: „Wenn mal was ist, merken wir’s“ – die Geheimdienste argumentieren: Wenn unter den 100 Mio. Überwachten mal ein Bösewicht ist, merken wir’s. Und sie rechtfertigen dadurch die Überwachung, ebenso wie die Eltern. Die NSA kämpft gegen den Terror, die Eltern kämpfen gegen das Unbeherrschbare. Doch ist das Kind sicherer, wenn die Eltern ab 38,1 Grad alarmiert werden? Wenn das Kind seit zwei Stunden auf der Seite liegt und die Eltern sich Sorgen machen?
Solch eine 100%-Kontrolle schenkt nur scheinbare Sicherheit. Viel eher bewirkt sie Abhängigkeit von den technischen Geräten – und vermutlich auch Misstrauen gegenüber sich selbst… das in noch mehr Überwachung resultiert?
Nein, noch kein Kind ist an zu viel elterlicher Sorge gestorben. Und hier wird deutlich, dass der Vergleich hinkt. Während die Eltern eine Entscheidung für ihr Kind treffen, für das sie zu sorgen haben, treffen NSA und Co. Entscheidungen für erwachsene Menschen, die sie niemals darum gebeten haben. Ein „Sproutling“ für jeden Menschen der Erde – ich bin sicher, die Geheimdienstchefs kriegen beim Gedanken daran feuchte Augen.
Lassen wir es soweit nicht kommen.
Fein raus sind übrigens die Macher von Sproutling (wenig überraschend: ehemalige Apple- und Googlemitarbeiter). Sie können mit den gesammelten Daten vom „Wearable“ schon vor Beginn des internetfähigen Alters ein digitales Schattenprofil des „Sproutling“-Trägers anlegen: Das Wissen um regelmäßig aussetzende Herzschläge macht Onlinewerbung für Herzschrittmacher um ein Vielfaches wertvoller.