Letzten Monat habe ich einen Workshop vor Eltern gehalten. Thema waren Apps, die bei Jugendlichen populär sind, also Whatsapp, Instagram, Facebook und Snapchat. Es ging um deren Bedeutung im Alltag junger Menschen und um deren Risiken im Blick auf Datensouveränität und Privatsphäreschutz. Nach meinem Impuls kam ein gutes Gespräch über die Medienkompetenz von Erwachsenen und deren Rolle in der Vermittlung von Medienkompetenz an Jugendliche zustande.
Bis ein Troll erwachte.
Er hätte das alles schon Tausendmal gehört, sagte er vorwurfsvoll, nicht mit so vielen Details, aber grundsätzlich hätte er das alles schon tausendfach gehört. Warum ihm niemand sagen könne, was man denn tun könne, fragte er lauter. Niemand würde mal ganz klar sagen, was die Alternativen seien. Einige der Anwesenden schüttelten vor Unverständnis den Kopf, doch er redete sich in Rage. Er hätte das alles schon Tausendmal gehört, wiederholte er, spürbar erregt.
Es ginge nunmal nicht – ohne Whatsapp.
Es geht nicht ohne Whatsapp?
Hatte ich nicht gerade mehrere Alternativen genannt, die die Privatsphäre ihrer Nutzer ernst nehmen?
Nein. Er sei im Sportverein aktiv, erklärte der Mann aus der letzten Reihe, immer noch erregt. Da würden alle Whatsapp nutzen. Er könnte mit seinen Leuten nicht kommunizieren, wenn er als einziger kein Whatsapp hätte. Es gäbe einfach keine Alternative. Und keiner könne ihm sagen undsoweiter…
Ich versuchte dem erzürnten Vater meine Sicht der Dinge darzulegen. Und weil mich sein Rant auch Wochen nach der Veranstaltung immer noch nicht loslässt, möchte ich das auch hier noch einmal machen – etwas ausführlicher, etwas durchdachter freilich, als ich das in der Erschütterung über den unerwarteten Wutausbruch tat.
Wir leben in einem Land, das für die Freiheit, die den Menschen hier gegeben ist, schwere Opfer bringen musste. Zu dieser Freiheit gehört die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Presse. Für diese Freiheit sind im vergangenen Jahrhundert viele Menschen in den Tod gegangen. Für diese Freiheit haben hunderttausende Menschen aus unfreien Ländern große Gefahren auf sich genommen und tun das noch heute, um in dieses freie Land zu gelangen. Zu dieser Freiheit gehört die Kontrolle über seine eigenen persönlichen Daten, für die viele Menschen und auch ich in diesem Blog kämpfen. Und zu dieser Freiheit gehört auch, so banal es klingen mag, die Wahl des Messengers.
Wenn der Preis für den Verzicht auf den einen populären, aber gefährlichen Messenger die erschwerte Kommunikation ist, dann ist das eine schwere Entscheidung, und ich weiß, wovon ich rede – aber eine freie.
Ich denke, die meisten Jugendlichen sind zu dieser Abwägung nicht in der Lage, aber wir Erwachsenen sind es.
Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem es nur einen Messenger gibt – womöglich einen, der mit meinen Texten, Bildern und Videos so umgeht wie Whatsapp. Ich bin froh, dass die Zeit vorbei ist, indem man in die FDJ muss, um studieren zu können. In die Hitlerjugend, um Schulgeldermäßigungen zu erhalten. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem jeder Sportverein den gleichen Messenger nutzt und jeder, der Mitglied werden will, sich die App erst installieren muss, egal, ob er will, oder nicht.
In dem die Nutzung einer App alternativlos ist.
Nichts ist alternativlos. Das ist Freiheit. Und ohne Freiheit keine Menschenwürde. Und ohne Menschenwürde kein lebenswertes Leben.
Ist die Sprengung eines Workshops alternativlos? Auf jeden Fall entschuldigte sich der gute Mann hinterher bei mir.