Verfassungsschutz nutzt NSA-Datenbank. Stört das jemanden?

man-516336_640Nicht nur der deutsche Auslands-Geheimdienst BND nutzt die mächtige NSA-Datenbank Xkeyscore, sondern auch der Verfassungsschutz. Einen tiefen Einblick in die (unerlaubte!) Verwendung der Datenbank durch die Deutschen gibt ZEIT-Autor Kai Biermann in einem sehr aufschlussreichen Artikel. Quelle ist eine Vereinbarung zwischen NSA und Verfassungsschutz, die ZEIT online ebenfalls dokumentiert.

Metadaten werden im Überwachungsdiskurs total unterschätzt. Dabei sind der Zeitpunkt einer Internet- oder Telefonverbindung, Quelle und Ziel und Standort der beiden Kommunikationsteilnehmer Gold wert, weil sich daraus Verknüpfungen ergeben. Einige Zitate aus Biermanns Artikel vom 25. August:

Wer Gespräche belauscht, erfährt, was die Sprecher sagen. Wer hingegen Metadaten analysiert, erfährt, was die Belauschten tun, ja sogar was sie planen und denken. Genau deswegen war das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) so scharf darauf, die amerikanische Spionagesoftware XKeyscore zu nutzen, die der Bundesnachrichtendienst bereits 2007 von der NSA bekommen hatte.

Außerdem kann Poseidon charakteristische Merkmale in den [Meta-]Daten finden und aus diesen einen “Fingerabdruck” erstellen. Das heißt, dass beispielsweise wiederkehrende Ortsangaben, bestimmte Kommunikationsmerkmale oder die Nutzung spezieller Programme dazu dienen, ein Verhaltensprofil einer Person zu entwickeln. Dieses Profil kann das Programm dann in neuen Daten wiederfinden und damit die Person darin identifizieren, selbst wenn nirgendwo ihr Name steht. Die NSA hat viele Tausende solcher Fingerabdrücke entwickelt, die wie eine maßgeschneiderte Suche funktionieren, um in unbekannten Daten bekannte Merkmale zu entdecken.

Überwachungen des BfV betreffen hingegen pro Anordnung immer nur wenige Menschen, manchmal fünf, manchmal 20, je nach Größe der überwachten Gruppe oder Organisation. Wenn von jedem davon auch nur 20 Gigabyte Kommunikationsdaten analysiert werden, was durchaus realistisch ist, genügt das, um so gut wie alles über das Leben des Betroffenen zu erfahren.

Poseidon/XKeyscore ist also nicht nur ein “Sortierwerkzeug”, wie des das BfV nennt, es ist ein Werkzeug, um Menschen komplett zu durchleuchten.

Es wundert mich nicht (mehr), dass aus dem bekannt gewordenen verbotenen Einsatz von Xkeyscore im Verfassungsschutz keine Konsequenzen. Personelle sowieso nicht (da BfV-Chef Fromm, in dessen Zeit der NSA-Deal fiel, 2012 bereits über die NSU-Affäre gestolpert wurde), und politische auch nicht. Wenn uns unsere Freiheitsrechte wichtig sind, ist eine stärkere palamentarische Kontrolle (= mehr Transparenz) des Verfassungsschutzes nach dem, was wir dank Edward Snowden erfahren haben, dringend notwendig.

ZEIT-Autor Kai Biermann und sein Kollege Patrick Beuth haben einige gute Artikel geschrieben – und tun es glücklichweise auch weiterhin, auch wenn die NSA-Affäre in den Medien und der Gesellschaft derzeit kaum eine Rolle speilt. Ich empfehle Beuth und Biermann auf Twitter zu folgen.

Sichere Emails (nur) für GMX, web.de und 1&1-Mail-Nutzer

Emails sind nicht sicher vor Abhörungen. Google scannt den Inhalt seiner Kunden und macht aus den Begriffen Werbung, das Muscular-Programm der NSA zapft die Datenleitungen zwischen den Rechenzentren von Google und Yahoo an und Hacker erbeuten leicht auch mal Millionen Zugangsdaten.

Emailverschlüsselung wäre daher der richtige Weg zu sicherer elektronischer Kommunikation, das jahrelang erprobte PGP-Verschlüsselungsverfahren dabei die richtige Anwendung – denn NSA und GCHQ können es nicht knacken (konnten sie bislang zumindest nicht). Doch – selbst durch den tollen Service von Mailbox.org – PGP ist und bleibt komplex. (Jetzt nur mal so zum Einordnen: Meiner Familie, mit der ich seit Jahren über sicher Threema kommuniziere, habe ich die Einrichtung gar nicht erst zu erklären versucht.)

GMX, Web.de und 1&1 bieten nun einen Dienst an, der sichere Verschlüsselung und Komfort verbindet, und ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich dieser Schritt in die richtige Richtung freut. Zumal fast alle meiner Familienmitglieder bei einem der Dienste ihre Mailadresse haben. Nach der halbgaren PR-Kampagne “Email made in Germany”, die uns die eigentlich selbstverständliche verschlüsselte E-Mail-Übertragung als Revolution verkaufte, und dem staatlich geförderten Rohrkrepierer DeMail gibt es jetzt aus dem Firmenverbund “United Internet” etwas Handfestes:

  • Nutzer der Email-Dienste (auch der kostenfreien) können die verschlüsselte Übertragung freischalten.
  • Sie müssen das kostenfreie Browser-Plugin “Mailvelope” installieren (gibt’s für Firefox oder Chrome).
  • Das Tool generiert im Hintergrund die für PGP erforderlichen Schlüsselpaare für die Verschlüsselung und speichert sie auf dem Rechner des Nutzers.
  • Beim Email-Schreiben haben die Nutzer nun die Möglichkeit, ihre Nachrichten mit ihrem Schlüssel verschlüsseln zu lassen. Eingehende verschlüsselte Mails werden automatisch entschlüsselt

Die PGP-Verschlüsselung ist dadurch sicher, dass sie bei Sender und Empfänger ver- bzw. enstschlüsselt wird. Das bedeutet natürlich, dass die GMX/1&1/Web.de-Nutzer nur anderen Nutzern, die sich dafür freigeschaltet haben, verschlüsselt schreiben können. Das sollte die Kunden nicht abhalten, den Dienst zu nutzen, wird es aber vermutlich.

Dabei ist die einzig kritische Frage bei dem Vorstoß der Email-Anbieter: das Vertrauen. Nicht in die Anbieter selbst, wie SpOn schreibt (der Autor brauchte wohl einen knackigen Ausstieg) – Die Anbieter speichern lediglich den öffentlichen Schlüssel und den verschlüsselten Text. Die Nutzer müssen vielmehr der Browsererweiterung vertrauen – Mailvelope erzeugt schließlich die Schlüsselpaare und ver- und entschlüsselt Mails, und könnte dehalb theoretisch den Inhalt der Mails lesen. Aber da würde ich mir keine Sorgen machen: Mailvelope ist quelloffen (Open-Source, hier zum Projekt) und kann somit von jedem sachverständigen Nutzer kontrolliert werden; nur so entsteht in den heutigen Tagen Seriösität.

Was ich mir wünschen würde: Dass auch andere PGP-Nutzer (die also andere Maildienste nutzen und PGP manuell eingerichtet haben) von GMX, Web.de und 1&1-Nutzern angeschrieben werden könnten und ihnen schreiben könnten. Das ist technisch natürlich möglich, bislang aber nicht in die Webmailer implementiert. Vermutlich, weil die öffentlichen PGP-Schlüssel auf diversen Servern verteilt, die erstmal alle durchkämmt werden müssten und dann auch noch verschiedene Einträge auswerfen würden, was man den Komfort gewohnten Nutzern nicht zumuten will. Aber nur so würde die Verbreitung über das United-Internet-Universum heraus wachsen; so kämen wir der selbstbestimmten Kommunikation wirklichein Stück näher.

Vorratsdatenspeicherung und NSA: Wie Äpfel und Birnen

Seit Justizminister Maas einen Gesetzesvorschlag zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt hat, kocht das Blut der Speicherungs-Gegner: Immerhin könnte dieser Vorschlag, über den seit 2005 Jahren gestritten wird, noch vor der Sommerpause den Bundestag passieren. Ich könnte damit leben, wäre damit endlich ein leidiges Thema vom Tisch, das in der medialen Aufmerksamkeit leider auch jetzt wieder die NSA-Affäre zu verdrängen scheint. Dabei hat die Vorratsdatenspeicherung mit den NSA-Methoden nichts zu tun. Ich wiederhole mich gerne: Die Vorratsdatenspeicherung erreicht nicht ansatzweise die ethische Dimension des NSA-Skandals.

Bringen wir beides mal auf den Punkt, heißt Vorratsdatenspeicherung:

Ich weiß, dass die Daten meiner Telefon- oder Internetverbindungen zehn Wochen und meine Standortdaten vier Wochen auf den Servern der europäischen Anbieter gespeichert werden, deren Internetdienste ich nutze. Ich weiß, dass ein Richter Ermittlungsbehörden im Zweifelsfall Zugriff auf meine Daten geben kann.

Die Datensammlung durch die NSA, das GCHQ und befreundete Dienste heißt hingegen:

Ich weiß nicht, wo, wie lange und welche meiner Verbindungs- oder persönlichen Daten gespeichert werden, wenn europäische oder nicht-europäische Dienste nutze. Zudem weiß ich nicht, welche Daten wie miteinander verknüpft werden. Die Anbieter wissen es auch nicht. Ich weiß auch nicht, wer Zugriff auf meine Daten hat, und ebensowenig welche Schlüsse daraus über mich gezogen werden – erst recht nicht, ob die richtig sind.

Geht es bei der Vorratsdatenspeicherung um weitgehend transparente und parlamentarisch kontrollierte Verfahren, ist das, wovon Edward Snowden berichtet, schlicht undurchschaubar. Es beraubt jeden Internetntutzer der Kontrolle über sein Tun im Netz.
Auch wenn die NSA-Reform verabschiedet ist: Es keinen Hinweis darauf, dass Massensammlungen wie Tempora, Prism oder Muscular eingestellt sind, dass Handy-Gespräche nicht mehr mitgehört werden oder Manipulationswerkzeuge wie Underpass oder Miniature Hero außer Betrieb sind – zumal Tempora, Underpass und Miniature Hero britische Projekte sind, von denen NSA und andere Dienste aber gleichwohl profitieren. Auch spricht nichts dafür, dass die aus verschiedenen Quellen zusammen getragenen Daten nicht mehr analysiert werden. Der in den USA verabschiedete “Freedom Act” bezieht sich (wie die Vorratsdatenspeicherung) nur auf Metadaten, nicht auf die Inhalte von Mails, auf Zugangsdaten oder Whatsapp-Konversationen. Prism oder Muscular erwähnt er nicht.

Zurück nach Deutschland: Die Vorratsdatenspeicherung ist eigentlich nicht der Rede wert. Bislang durften die Daten, um die es dabei geht, sieben Tage gespeichert werden 615-544-6610 , nun halt ein paar Wochen. Und der Verfassungsschutz darf auch jetzt schon viel länger Daten sammeln – allerdings nur bei Anhaltspunkten, die einem Richter einleuchten müssen. Noch mal: Worüber wir hier in Deutschland reden, kommt an die Abgründigkeit und Intransparenz von NSA und GCHQ niemals ran.

Dennoch ist die Vorratsdatenspeicherung Mumpitz. Weil sie schlicht und ergreifend sinnlos ist. Die Vorratsdatenspeicherung hat noch keine schweren Straftaten verhindert,weder in den USA, noch auf Utøya, noch in Frankreich (sagte übrigens Minister Maas). Auch die EU, die die Vorratsdatenspeicherung will, kann (bzw. konnte 2010) auf keine Erfolge verweisen.

Gegen den Enkeltrick könnte sie laut diesem lesenswerten SZ-Artikel immerhin helfen. Na dann: Ist zumindest ein bisschen Platz mehr in den Zeitungen für den NSA-Skandal.