Morgen ist Bundestagswahl. Sieben Kandidaten und Kandidatinnen wollen das Direktmandat in meinem Wahlkreis gewinnen, und damit auch meine Belange in Berlin vertreten. Welche das sind? Da habe ich nur eins – noch immer sprachlos, dass keine Partei das im Wahlkampf zum Thema gemacht hat: Die Wiedererlangung meiner Privatsphäre.
Ich schrieb bereits, dass ich zum Wahlprüfstein machen wollte, wie die Politik mit dem Thema umgeht. Also habe ich die fünf Direktkandidaten, die die größten Chancen auf ein Ticket nach Berlin haben, gestern angeschrieben. Ich wollte wissen:
Was würden Sie als Bundestagsabgeordneter [Sie als Bundestagsabgeordnete] gegen die Verletzung der Privatsphäre durch den NSA und GCHQ unternehmen?
Oder kurz: Wer vertritt mein Interesse in Berlin?
Die CDU und die FDP offenbar nicht. Meine Anfrage, als Direktnachricht über das Facebookprofil des jeweiligen Kandidaten gestellt, wurde innerhalb von 24 Stunden nicht beantwortet. Nun könnte man sagen: Gut, das ist zu wenig Zeit für eine solche Frage. Doch wenn man bedenkt, dass 31 Prozent der Wahlberechtigten Ihre Entscheidung noch nicht getroffen haben, dürfte eine schnelle Reaktion eigentlich im Interesse der Kandidaten und ihrer Mitarbeiter liegen. Oder nicht?
Fraglos schnell war die Antwort der Grünen-Kandidatin, 8 Minuten nach meiner Anfrage über Twitter:
- Sie möchte lückenlos aufklären, wer wann was wusste, und dann die Gesetze verschärfen. Sie hätte keine Angst vor amerikanischen Freunden, twitterte sie.
Der Kandidat der Linken hat offenbar kein Twitter- oder Facebookprofil, also habe ich ihn per Mail angeschrieben. Er antwortete am heutigen frühen Abend in einer langen Mail. Die Kernpunkte:
- Die flächendeckende Überwachung ist kein „Betriebsunfall“, sondern den deutschen Behörden bekannt. Alle Vereinbarungen mit ausländischen Diensten sollen veröffentlicht werden, die deutschen Dienste sollen parlamentarisch kontrolliert und deren Aktionen transparent werden (durch Eigenauskunft beim Verfassungsschutz). Schließlich möchte der Linken-Kandidat einen Antrag ins Parlament einbringen, nach dem alle Geheimdienstkooperationen zwischen Deutschland und den USA und Großbritannien beendet werden.
Kurz darauf antwortete die SPD-Direktkandidatin per Facebooknachricht:
- Sie bezeichnet den CSU-Innenminister als „blauäugig“, der die Terrorverhütung durch die Überwachung nicht belegen kann und zur Verschlüsselung rät, obwohl die ja auch ausgehebelt wird. Sie möchte mit unserem Europaparlamentarier (ebenfalls SPD) verhindern, dass US- und britische Dienste weiter unseren Datenschutz verletzen. Und: „Die Laxheit von Frau Merkel ist sträflich.“
Ich bin den drei Kandidatinnen und Kandidaten, die mir auf meine Frage geantwortet haben, sehr dankbar. Es zeigt mir, dass sie sich auf ihren Wahlkreis einlassen, sich wirklich als Volksvertreter verstehen und nicht nur zwischen Luftballons und Bratwurst Smalltalks an Wahlkampfständen halten. Zudem fühle ich mich zum ersten Mal von der Politik ernst genommen in meiner Angst und meiner Wut über die Snowden-Enthüllungen – selbst wenn ich freilich nicht jede Antwort für richtig halte.
Dennoch: Ich habe meine Entscheidung über die Erststimme getroffen.
Bleibt nur die (nicht ganz ernst gemeinte) Frage: Wie geheim ist die Wahl in Zeiten der totalen Überwachung?
Meine Forderung an die Politik am Vorabend der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag:
Setzt die US- und britische Regierung diplomatisch so sehr unter Druck, dass sie die von Snowden enthüllten Geheimdienstoperationen sofort stoppen und sich zu einer internationalen, überprüfbaren Datenschutzregelung verpflichten!
Möge die nächste Regierung eine mutige sein.
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