Was wirklich auf der politischen Agenda stehen sollte

Ich bin der Meinung, das es nur wenige Politiker gibt, die die NSA-Affäre in ihrer ganzen (bekannten) Tragweite begreifen. Zu diesen wenigen gehören Thomas Oppermann (SPD), und, und das freut mich sehr*, Gerhart Baum von der FDP. Er schreibt in der FAZ:

Es ist in der erfreulicherweise lebhafter werdenden Diskussion über die Folgen der „Jahrhundertrevolution Internet“ immer wieder wichtig, auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: den Schutz der Privatheit. Dieser ist Teil unserer Menschenwürde als eines von Geburt an unveräußerlichen vorstaatlichen Rechts eines jeden Menschen. Diesen auf der Verfassungsrechtrevolution der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts beruhenden Wertekonsens der westlichen Welt gilt es zu verteidigen.

In seinem Artikel betont er nicht nur die Privatsphäre als elementaren Teil der Menschenwürde, die durch die Geheimdienste massiv eingeschränkt wird. Er empfiehlt Angela Merkel, wie sie sich bei Ihrem USA-Besuch verhalten soll; das ist weitgehend irrelevant, denn auf einen ehemaligen FDP-Minister wird sie nicht hören. Dennoch bringt er auf den Punkt, was hier in Deutschland / in Europa zu tun ist:

Die Kanzlerin sollte darauf bestehen, dass in den amerikanischen Gesetzen, auf denen die Praktiken der NSA beruhen, Schutzpflichten auch für Ausländer verankert werden, mindestens für die Bürger verbündeter Staaten. Wenn die NSA über diese aus berechtigten Gründen etwas erfahren will, soll sie sich der Hilfe der deutschen Dienste bedienen.

Das bedeutet freilich, dass die deutschen Geheimdienste aus ihrem Biotop herausgeholt werden und gegenüber dem Parlament (öffentlicher geht’s bei Geheimdiensten wohl nicht) transparent werden. Denn “Hilfe der deutschen Dienste” erfahren NSA und GCHQ  bislang ja auch, siehe Bad Aibling. Auf konkrete Anforderungen künftiger Geheimdienstarbeit geht Baum in seinem Artikel nicht ein, dabei könnte er es als Ex-Innenminister sicherlich. Dennoch sind Pullach/Berlin und Köln die Schauplätze, in denen die Zukunft unserer (nicht nur digitalen!) Bürgerrechte entschieden wird.

Ob Merkel bei Obama irgendein messbares Zugeständnis in Sachen NSA-Abhörung erreicht, bezweifle ich – das ist auch nicht Grund ihrer Reise. Wenn also die Bedrohung nicht abnimmt, müssen wir uns davor schützen. Das klingt ein bisschen wie Colin Powell bei der UN, aber wir haben dank Snowden ja Beweise. Für uns Deutsche heißt das: Wir müssen unsere Geheimdienste zu unseren machen. Weiterhin müssen wir die deutsche / europäische Rechtsstaatlichkeit stärken (auch das Vertrauen darin, und da ist der aktuelle EU-Wahlkampf eher kontraproduktiv) 615-544-7031 , damit Zugriffe ausländischer Dienste auf deutsche Server besser erkannt und verfolgt werden können.

* Warum mich das freut: Weil die FDP Freiheit im Namen trägt und Bürgerrechte einst als einen ihrer Inhalte begriffen hat. Auch wenn Sie das im Zuge der NSA-Affäre offenbar vergessen hat.

Springers Angst als Chance für alle

Springerchef Döpfner hat vergangene Woche in der FAZ seine Angst vor Google gestanden – davor, dass es für Unternehmen (wie für Privatleute) unmöglich sei, an Google vorbeizukommen. Der gestern erschienene Artikel in der Springerzeitung WELT ordnet diese Angst gut ein – in einen Horizont, der auch für die NSA-Aufarbeitung wichtig ist; dass nämlich die Politik am Zuge ist. Weil nur sie Google entgegen treten kann.

Die letzte Barriere, zugleich Bedrohung, sind die Gesetze souveräner Staaten und die Wettbewerbsbehörden der EU. Es wäre eine offene Flanke in der Strategie Googles, würde man sich nicht auch längst schon um dieses Problem kümmern. Während wir noch diskutieren, ob der Ruf nach der Politik gerechtfertigt sei, hat Google längst erkannt, dass die Politik die letzte wirkliche Bedrohung für den Hunger nach Daten und Wachstum ist.

Die kraftvollsten Worte findet Autor Philipp Klöckner im letzten Artikel:

Wenn ein souveräner Staat, aber auch und gerade eine Wertegemeinschaft wie die Europäische Union, im 21. Jahrhundert nur eine einzige Aufgabe hätte, dann bestünde sie darin, dem Bürger seine informationelle Selbstbestimmung zu garantieren. Verliert das Individuum die Herrschaft über seine Daten, die Währung des digitalen Zeitalters, erlöschen die Möglichkeiten, gleichberechtigt am politischen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.

Das gilt natürlich nicht nur für Internetkonzerne – die im Falle Google, wie ich finde, nicht einmal ein unethisches Geschäftsmodell pflegen – sondern (ich finde: vor allem) für die Geheimdienste, die dem Nutzer (anders als Google) keine Wahl zur Datensammlung lassen und keinerlei Service bieten. Ich würde mir wünschen, dass diese Debatte Einzug in den EU-Parlamentswahlkampf fände, doch bislang habe ich das Thema nirgendwo entdeckt. Ob da noch was